Wilbrand Grevemeyer: 65 Jahre in der Ruder-Gesellschaft HANSA

Nachruf. Unser Ehrenmitglied Wilbrand Grevemeyer ist im Alter von 83 Jahren gestorben. Er verstand sich als Bewahrer der Traditionen wie auch als Impulsgeber und wohlwollender Begleiter der Ruder-Gesellschaft HANSA, der er 65 Jahre lang die Treue hielt. Die Entwicklung der HANSA hat er in seiner aktiven Zeit als Sportler und anschließend in verschiedenen Ämtern maßgeblich gestaltet und geprägt.


Bis zuletzt war Wilbrand im Verein aktiv, war bei allen wichtigen Veranstaltungen dabei und fiel den Neumitgliedern dadurch auf, dass er unentwegt alles fotografierte, was ihm wichtig erschien. Zum Olympia-Empfang von Tim Ole Naske im Spätsommer hatte er sich aufgemacht, schon vom Krebs gezeichnet und mit einem Rollator ausgestattet, um wieder in „seiner“ HANSA zu sein. Es ging ihm in erster Linie darum, Leistungssportler wie Tim Ole seinen Respekt zu zollen, und natürlich wollte er einmal wieder draußen auf der Terrasse sitzen und einfach mit den Ruderfreunden reden, wie er es so viele Jahre getan hatte.

Wilbrand selbst ist und war im Herzen ein Leistungsruderer – und ein sehr erfolgreicher noch dazu. Seinen eigenen Namen konnte Wilbrand in der Siegesliste der HANSA rund 350-mal lesen. Bis zuletzt führte er die Siegeslisten fort und hat akribisch alle Erfolge der Trainings- und Leistungsruderer der HANSA festgehalten.

Einer der wichtigsten Erfolge seiner eigenen aktiven Senioren-Zeit war das Rennen im Leichtgewichtsachter 1957 in Berlin-Grünau vor voll besetzter Tribüne der ehemaligen Olympiastätte. Das war ihm noch lebhaft in Erinnerung geblieben und wenn er davon berichtet hatte, sprühte er vor Begeisterung. Beendet hat Wilbrand seine leistungssportliche Karriere mit der Vizemeisterschaft im LG-Achter auf der Deutschen Meisterschaft 1963 in Essen. „Alle unsere Meisterschaftshoffnungen“, so erzählte er, „wurden im Finale vom Winde verweht.“

Ein Highlight seiner Ruderlaufbahn war der fast 30-jährige Zusammenhalt des 1964 gegründeten Altherren-Achters. Wegen seiner zahlreichen Siege taufte die BILD-Zeitung den HANSA-Achter damals, den „Atom-Achter“.

Diese erfolgreiche Ruder-Epoche begann am 14. Juni 1964 auf der Hamburger NRB-Gigregatta, auf der das HANSA-Boot nicht zu schlagen war. „Von da an waren wir immer zusammen in einem Boot mit der Stammbesetzung Horst Sieg auf Schlag, Wilbrand auf 7 als „Spielertrainer“ und ich auf 6“, erzählt Jürgen Schröder. „Das blieb lange Jahre so und führte uns auf zahlreiche Regattaplätze in Europa“.

Der berühmte „Atom-Achter“ steuerte in den Folgejahren über 100 Siege zur HANSA-Siegesliste bei. Die nebenher noch errungenen Erfolge in Vierern und Zweiern und die Einer-Siege des Schlagmanns Horst Sieg führten zu schier unglaublichen Siegeszahlen einer kleinen acht bis zwölf-köpfigen Ruderergruppe. Dazu zählen mehrere FISA-Masters Siege in Vierern und Achtern in Amsterdam, Berlin, Viareggio, Kerteminde, Prag und sogar Miami.

Die Anfänge

Dabei war es anfangs gar nicht ausgemacht, dass der schmächtige Wilbrand als Jugendlicher später etwas mit Rudern zu tun haben sollte. Wilbrand spielte Fußball beim USC Paloma, gleich um die Ecke des Elternhauses. Erst Fußball, dann eine Runde Wasserball und zuletzt Paddeln führten ihn dann schließlich 1955 zur HANSA, ein Jahr vor dem Eintritt seines Bruders Uwe. Der war damals sein sportliches Vorbild  beim Schüler Ruder-Verein „St. Jürgen“, der seinerzeit mit der HANSA kooperierte. Uwe war dort Schlagmann und bereits länger erfolgreich.

Im Winter 1956/57 wurde Trainer Walter Gleisberg beim Kastenrudern auf den drahtigen Schüler mit Kurzhaarschnitt aufmerksam und er wurde den Leichtgewichtsruderern zugeordnet und landete bald im Leichtgewichts-Senior-Achter der HANSA, ohne vorher jemals ein Jungmann- oder Juniorenrennen gefahren zu sein.

Fragte man Wilbrand nach dieser Zeit in seiner Jugend, erzählte er von seinen „echten Sturm- und Drangzeiten“. Köstlich die Anekdote, wie er aus Übermut eine Vorladung vom Ehrengericht erhielt, weil er beim mitternächtlichen Heimkehren von einer ausgelassenen Weihnachtsfeier bei den Hamburger Ruderinnen erwischt wurde. Damals waren die Sitten für die Trainingsleute noch etwas härter als heute. Ein weihnachtliches Training in einem maroden Blech-Skiff führte nach zweimaliger Kenterung zur Einlieferung ins Krankenhaus St. Georg – wegen Unterkühlung.

Eigentlich gab es wenig, was er nicht „durchgemacht“ hat, wie er selbst meinte. Er protestierte einmal gegen die Trainingsleitung, indem er kurzerhand in den Wandsbeker Athletic Club eintrat und am dortigen Ringertraining teilnahm. Doch der Frust darüber, dass er bereits nach einer kurzen Schulterrolle den Kampf verloren hatte noch ehe es richtig losging, führte schnell zur reumütigen Rückkehr zur Ruderei.

Aus den Ruderfreunden der Jugend und später aus dem berühmten Atom-Achter wurden auch lebenslange Freundschaften. Mit Jürgen Schröder war er seit 1964 eng befreundet. Gemeinsam durchlebten sie das Wanderrudern, die Rennruderei wie auch viele Geselligkeiten in der HANSA und im privaten Bereich, auf Reisen, Geburtstagen, Hochzeitsfeiern und Jubiläen.

Dann gab es noch die gemeinsamen „Himmelfahrt“-Wanderfahrten, organisiert von Jürgen Schröder. Wilbrand und Jürgen waren auch die einzigen, die jede der insgesamt 48 Himmelfahrt-Touren mitgemacht haben und auch immer das Zimmer geteilt haben. Auch hier war Wilbrand der unermüdliche Fotograf und lieferte später für jeden Teilnehmer eine Collage der schönsten Bilder.

Ehrenamt und Ämter

Wilbrands erste GA-Berufung erfolgte 1964 als zweiter Ruderwart für ein Jahr. 1970 wurde er für ein Jahr Bootswart und stieg dann 1971 zum zweiten Vorsitzenden der Ruder-Gesellschaft HANSA auf, ein Amt, das er bis 1977 bekleidet hatte.

Von 1981 bis 1986 sowie von 1992 bis 1996 hatte Wilbrand insgesamt für elf Jahre den Vorsitz der HANSA übernommen. Er konnte auf 20 Jahre Vorstands- und GA-Erfahrung blicken und gilt als HANSA-Urgestein, war er doch 2021 65 Jahre lang Mitglied. „Wir waren alle Idealisten aus verschiedensten Berufen, aber auch bereit, wenn die berufliche Möglichkeit bestand, auch Verantwortung für den Verein zu übernehmen“, sagte er.

Wilbrand war umtriebig, fast schon rastlos, und ein Antreiber. „Ihn zeichnete aus, dass er immer die Initiative ergriff“, erzählt Cord Filter. „Er wusste immer, was zu tun war, er ging immer voran und war eine wahre Führungspersönlichkeit. Das zeigte sich in der HANSA (als Vorstand), im Boot, in der Firma (als Verkaufsleiter und Prokurist), bei unseren Bikertouren und in vielen anderen Situationen.“

„Für mich war Wilbrand ein Ehrenmitglied par excellence, weil er durch seine vielfältige Erfahrung ein tolles Bindeglied zwischen alt und jung war“, erzählt auch Katahrina von Kodolitsch, Vorsitzende der RG HANSA. „Er war regelmäßig bei Regatten in Allermöhe und dadurch den Leistungssportlern bestens bekannt. Er hat geholfen, wo er konnte – von Jubiläumsschrift über Regattafotos zu Beiträgen auf der Homepage und beratende Gespräche im Vorstand war alles dabei. Seine aufmunternde Art und Unterstützung werden uns sehr fehlen.“

Was gibt es noch über Wilbrand zu berichten? Vielleicht die erste Überfahrt von Büsum nach Helgoland im Jahre 1986, mit einem Ruderboot samt Motorbootbegleitung? Oder zwei Jahre später die Überquerung des Kattegat von Skagen nach Göteborg? Oder 2002 die Schaltung der ersten Homepage der HANSA, bei der er noch bis zum Schluss als Administrator eingetragen war? Oder die umfangreiche Sammlung von Bildern und Ereignissen der fast 150-jährigen Geschichte der HANSA, die er zusammen mit Gerhard Boehm zu einer Chronik zusammenführte? Oder die Teilnahme an der Victoria-Falls-Safari-Regatta in Zimbabwe 1993?

Ideengeber und Macher

Und auch das: 1992 gründete sein Ruderkreis eine Motorradgruppe. „Mit von der Partie waren Volkmar, Matthias, Jürgen, Meise, Peter aus Berlin, Milo, Wilbrand und ich“, erzählt Cord. „Wir fuhren unterschiedliche Maschinen. Wilbrand überraschte mit einer SUZUKI Intruder, der Dampfhammer. Es folgten Touren im Umland, in die neuen Bundesländer, Südskandinavien, Holland und zum Schluss noch in die Toskana.“

Wie im Boot war auch hier Wilbrand oft der Macher, Ideengeber und Fotograf der Gruppe. „Häufig fuhr er an der Spitze, ließ sich nach hinten abfallen, um dann wieder an die Spitze zu brausen. Er lieferte nach jeder Tour wunderbare Fotos. Wenn wir schon den ganzen Tag auf dem „Bock“ saßen und müde waren, entdeckte er oben auf einem Berg eine Burg. „Da fahren wir jetzt rauf“, rief er und fuhr los. Wir mussten natürlich hinterherfahren, nicht sehr begeistert. So war er, neugierig und immer unter Dampf“, erzählt Cord.

Nach zwanzig unbeschwerten Jahren löste sich die Biker-Truppe langsam auf. Altersbedingt hatte jeder für sich den Abschied eingeleitet und das Motorrad verkauft. Geblieben sind Erinnerungen an herrliche Ausfahrten in freier Natur auf Nebenstraßen mit Ruderfreunden, mit denen man jahrzehntelang gerudert hatte. Wilbrand selbst sagte dazu: „Rückblickend war es eine schöne und interessante Zeit. In meinen 65 Jahren HANSA habe ich viel erlebt, aber auch kaum etwas ausgelassen oder versäumt.“

Die Ehrenmitgliedschaft der HANSA wurde ihm 1997 verliehen.

Vor Monaten hatte Wilbrand die publizistische Verantwortung für seine gesammelten Berichte und Bilder an den jetzigen Pressewart übertragen. Das schwere Krebsleiden hinderte ihn nicht daran, bis in die letzten Tagen hinein, an seinen Artikeln für die Jubiläumsfestschrift zu arbeiten. Über seine Verfassung verlor er nicht viele Worte.

Seine letzten Tage verbrachte er im Kreis seiner Familie. Seine Frau Ursula fand die passenden Worte: „Es hat am Ende alles gepasst.“

Unser tief empfundenes Beileid geht an seine Witwe Ursula Grevemeyer, an seine beiden Söhne und deren Familien sowie an seinen Bruder Uwe und dessen Frau Elke Grevemeyer.

ZUm Olympia-Empfang von Tim Ole Naske am 9. August ließ er es sich nicht nehmen persönlich zu erscheinen.
Fotografisch festgehalten: Wie hier auf der Jubiläums- und Siegerfeier der HANSA 2015 war Wilbrand stets mit der Kamera dabei.
1958 in Bremen: Der Leichtgewichtsachter der HANSA ein Jahr nach dem fulminanten Rennen in Berlin, wo das HANSA-Boot im Endspurt hauchdünn den dritten Platz machte.
Trainingsrunde: Auf Schlag in bewährter Manier Horst Sieg, Wilbrand auf der Übernahme und Jürgen Schröder auf der sechs.
Die Glocke gehört uns: Drei Mal nacheinander im dänischen Kerteminde 1982, 83 und 84 gewonnen und die Glocke als Siegespreis gehörte fortan den Hamburgern. Heute steht sie über den Tresen der Gastro, in Erinnerung sind die Namen des Achtercrews eingraviert.
Lässig: Wieder eine Medaille 1990 in Italien geholt in Renngemeinschaft mit dem 1. Kieler Ruderclub (Trikots): Wilbrand ganz links und sein Freund Jürgen Schröder dritter von links.
Brüder: Wilbrand und Uwe gemeinsam auf Barkentour zum Himmelfahrtstag am 30. Mai 2019. 48 Jahre lang gab es eine jährliche Tour der Senioren, 2020 ist sie erstmals pandemiebedingt ausgefallen.
Besuch bei Grevemeyers in Harburg noch im Juli 2021: Zu Mittag gab es ein herzhaftes Grünkohlessen.

Im stillen Gedenken.

1 Reply to "Wilbrand Grevemeyer: 65 Jahre in der Ruder-Gesellschaft HANSA"

  • Gerd Henze
    23. Oktober 2021 (10:40)
    Reply

    Hinzuzufügen wäre noch, das Wilbrand ein untadeliger, ehrgeiziger Sportsmann war. Ich war einige Jahre als 2. Vors. mit Wilbrand gemeinsam im Vorstand und habe ihn auch dort schätzen gelernt. Erst die letzten 25 Jahre haben wir gemeinsam im Achter gesessen und viele Kilometer “ geschrubbt „.. Unser Dienstags-Kreis vermist ihn nicht erst seit 4 Wochen.

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