Wiesen, Wolken und Wodka – Die Anfänger-Wanderfahrt auf der Aller von Celle bis Verden

Regen. Niesel, Schauer, Sturz- und Dauerregen. Der Kontroll-Blick auf die Wetterapp zwei Tage vor der Anfänger-Wanderfahrt auf der Aller war mehr als frustrierend. Deshalb verkürzten die beiden Organisatoren, Laura und Jakob die Tour: Statt, wie ursprünglich geplant, von Müden an der Aller bis Verden zu rudern, sollte es nun erst in Celle ins Wasser gehen. Schließlich galt es, sechs mitrudernde Anfängerinnen (Frauke, Inga, Janni, Ulrike, Sabine und Anja) fürs Wanderrudern zu begeistern. Die zehn alten Hasen an Bord (Achim, Jakob, Patrick, Volker, Ben, Katharina, Gesa, Laura, Kaddl und Antonia) hätten natürlich auch bei Schietwetter weit mehr Kilometer schaffen können.

Der neue Plan: An Tag eins rudern wir die Hälfte der Strecke (26 Kilometer), die eigentlich für Tag zwei geplant war, heben die Boote an der Bannetzer Schleuse aus und steigen dort an Tag zwei wieder ein, um die restlichen 27 Kilometer bis Hodenhagen zu rudern. Am letzten Tag dann 52 Kilometer bis Verden.

Aber wir hatten Glück: Das Wetter war nur am ersten Vormittag richtig schlecht und dann viel besser als angesagt. Es gab zwar einige heftige Güsse aber auch amtlichen Sonnenschein und Einiges an Goldener-Oktober-Stimmung.

Und wir hatten Pech: Alle vier Schleusen an der Aller, die normalerweise bis Ende Oktober in Betrieb sind, wurden aufgrund der kritischen Energie-Lage in diesem Jahr bereits zu Ende September vom Netz genommen. Wir mussten die Boote (Fulda, Trave und H-G Mertens, liebevoll auch die „dicke Berta“ genannt) also vier Mal umtragen – was erklärt, warum wir auch an den ersten beiden Tagen, trotz geringer Kilometerleistung, jeweils bis zum späten Nachmittag unterwegs waren. Wie gut, dass Jakob und Laura die Strecke verkürzt hatten!

Landschaftlich ist die Aller wenig spektakulär, aber gerade deshalb für eine Anfängerfahrt perfekt: Es gilt ja, sich aufs Rudern zu konzentrieren – für aufwühlende Landschaftsbetrachtungen, für Canyons, Steilufer oder gar Stadtansichten wäre da gar keine gedankliche Kapazität. Angenehm beruhigend für Geist und Gemüt sind dagegen die über Stunden vorbeiziehenden Wiesen und Weiden, mit normal-norddeutschen schwarzbunten Kühen, wuscheligen Hochlandrindern und immer wieder prachtvollen Pferden zu Land, etlichen Gänsen und Schwänen sowie erstaunlich vielen Reihern zu Wasser und Raubvögeln sowie spektakuläre Wolkenformationen in der Luft. Am Ufer viel Mischwald und am Horizont immer mal wieder elegante Pappeln, Erlen oder Birken.

Menschliche Siedlungen gibt es am Ufer der Aller dagegen nur selten. Konnten wir am ersten Tag noch in Winsen Döner, Croques und Pizza als späten Lunch ergattern, wurden an den beiden anderen Tagen die morgens im Hotel (heimlich) geschmierten Durchhalte-Brötchen kameradschaftlich geteilt.

Wo keine Siedlung, da auch kein Steg für eine Pipi-Pause. Da war die ein oder andere Blase fast froh über die Umtrage-Stopps an den Schleusen. Und am dritten Tag, an dem es keine Schleusen mehr gab, ist mindestens von einem Boot überliefert, dass – nachdem ein Steg versäumt worden war – umgedreht und gegen die Strömung zurückgerudert wurde.

Diese Strömung, die in der Fahrtausschreibung als „munter“ angekündigt war, lies allerdings meist zu wünschen übrig: Nach dem trockenen Sommer führte die Aller schlicht zu wenig Wasser, um viel zu strömen. Und war stellenweise so flach, dass auf Sicht gefahren werden musste und Einige sogar strandeten. Und das nicht nur abends an der Bar.

Dort aber auch. Am ersten Abend in Celle gab es ein üppiges Mahl bei „Schweine Schulze“, einer örtlichen Institution, die für Vegetarier (und die, die noch vom Döner einen vollen Magen hatten) Salat und Kürbissuppe bereithielt, wo die Fleisch-Fans aber die Qual der Wahl hatten – zwischen Schnitzel, Würsten, Eisbein, Sauerfleisch und etlichem mehr. Einem Spaziergang durch die hübsche Fachwerk-Altstadt folgte ein Abstecher in die „Fachwerk-Bar“, die als Mischung aus Jahrhundertwende-Boudoir mit Python-Tapeten und „4 Blocks“-Kulisse überraschte, wo das lokale Partyvolk sich Cola und Rum in einem Eiskübel mit Feuerwerk servieren lässt.

Wir dagegen feierten im Hotel weiter, mit Spezial-Drinks wie Aprikosen-Wodka oder Eistee-Korn und Partyhits wie „Blau wie das Meer“.

Am zweiten Abend übernachteten wir bei „Michel & Friends“ in Hodenhagen, einem labyrinthartig ausgebauten Hotel im Safari-Look, nahe dem Serengeti-Park. Am Abendessen-Buffet wurde „Schwan“ gereicht – was sich allerdings rasch als Rechtschreibfehler herausstellte, in der Sahnesauce schwammen banale Schweinemedaillons. An den Wänden dagegen: Zeichnungen von Giraffen, Straußen, Zebras und Raubkatzen. Aus ihrem natürlichen Habitat nahe des Äquators sind diese Tiere gewohnt, dass es um 18 Uhr dunkel wird  – wahrscheinlich der Grund dafür, dass auch die Bar bei „Michel & Friends“ bereits um 21 Uhr die Lichter ausmachte.

Gut, dass Patrick, Kaddl und Antonia am Abend zuvor in Celle ordentlich eingekauft hatten – wir zogen also nach dem Abendessen direkt in ihr Zimmer weiter und feierten, solange es die Müdigkeit nach zwei Wanderfahrtstagen erlaubte.

Am nächsten Abend spät, zurück in Hamburg, hatte ich meiner Familie vier Kern-Erkenntnise zu berichten:

  • Soviel Spaß wie auf meiner ersten Wanderfahrt hatte ich schon lange nicht mehr.
  • Gute Ruderhandschuhe sind das A und O. Und Hirschtalg.
  • Regenzeug sollte beim Umtragen niemals im Boot liegen bleiben. Auch dann nicht, wenn beim Anlegen die Sonne scheint – schließlich weiß man nie, wann man zurück ins Boot kommt. Mit ein bißchen Pech hat ein anderes Boot ein Skull verloren, man kann nicht ablegen und derweil hat ein Sturzregen das ganze Regenzeug durchnässt.
  • Korn mit Eistee-Pulver schmeckt nicht nach Alkohol.

Und vier Wochen später weiß ich:

  • Wenn man sich im Boot übers „Pinkeln in die Pütz“ unterhält, wird einem, auch wenn das Handy sicher im wasserfesten Sack lagert, noch für lange Zeit auf Facebook Werbung für „Mobile Toiletten“ eingespielt.

Bericht von Anja Haegele

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